Auch in einer zunehmend digitalen Welt bleibt der Mensch unverzichtbar – im besonderen Maße gilt dies für das Handwerk. Mit seiner ganzen Vielfalt ist das Handwerk aber auch unverzichtbar für den Standort Köln, erklärt Hans Peter Wollseifer im Interview mit dem Kölnmagazin. Die Rekrutierung von Fachkräften sei dabei das Kardinalthema seiner Branche, so der Präsident der Handwerkskammer zu Köln.
Man sagt, Handwerk habe einen goldenen Boden. Ist Köln ein goldener Boden für das Handwerk?
Wir haben eine Frühjahrsumfrage zur Konjunktur gemacht, und die weist aus, dass 89 Prozent unserer Betriebe die derzeitige Konjunktursituation als gut oder zumindest befriedigend einschätzen, nur elf Prozent der Betriebe ziehen eine negative Bilanz. Für das Handwerk in Deutschland verzeichnen wir für das vergangene Jahr einen Gesamtzuwachs von 2,2 Prozent, wir haben eine deutliche zweistellige Milliardenzahl im Umsatz zulegen können. Allein das Kölner Handwerk konnte rund sieben Milliarden Euro umsetzen. Wir beschäftigen zirka 60.000 Mitarbeiter, davon 4.000 Auszubildende in den drei Ausbildungsjahren. Handwerk wird ja oft reduziert auf das Bauhandwerk, findet jedoch als Nahrungsmittel- und Gesundheitshandwerk, Holz-, Metall-, Textil- oder Kreativhandwerk statt – es gibt sehr viele handwerkliche Facetten. Von daher ist Handwerk schon ein glänzender Standortfaktor für Köln.
„Wir suchen mittlerweile
Fachkräfte in allen Bereichen.“
Wer zählt alles zur Handwerkskammer Köln?
Zum Handwerkskammerbezirk gehören die Großstädte Köln, Bonn und Leverkusen und die vier umliegenden Kreise, also Rheinisch-Bergischer Kreis, Oberbergischer Kreis, Rhein-Erft-Kreis und Rhein-Sieg-Kreis – also rund drei Millionen Menschen.
Hat man als Handwerker in Köln Vorteile bei der Rekrutierung von Personal?
Das Fachkräfteproblem ist das Kardinalthema des Handwerks – auch in Köln. Wir suchen mittlerweile Fachkräfte in allen Bereichen. Man benötigt immer mehr qualifiziertes Personal, denn die Digitalisierung hat längst Einzug in die Werkstätten gehalten und die Tätigkeiten werden anspruchsvoller. Schwere körperliche Arbeit wird weniger, stattdessen nimmt die Kopfarbeit zu.
Das heißt: Akademischer Background ist gefragt? Es gibt da ja die Kampagne, um Studienabbrecher zu gewinnen …
Ganz klare Aussage: Wir brauchen alle! Wir stehen vor dem Problem, dass 57 Prozent eines Jahrgangs Abitur machen und ins Studium gehen und immer weniger eine berufliche duale Ausbildung nachfragen. Das war zur Jahrhundertwende noch umgekehrt. Das führt dazu, dass wir viele Studienabbrecher haben, ein Drittel aller Studienanfänger. Denen machen wir gute Angebote. Wir haben an allen großen Universitäten zusammen mit der Agentur für Arbeit sowie der Industrie- und Handelskammer Büros eingerichtet, wo interessierte junge Leute sich erkundigen können, welche Ausbildungs- und Karrieremöglichkeiten in unseren Berufen bestehen.
„Das Handwerk geht längst
auch aktiv auf Migranten zu.“
Das heißt, für Studienabbrecher ist der Weg zum Meister kürzer als zum Beispiel für einen Realschulabsolventen?
Studienzeiten können jedenfalls auf die duale Ausbildung angerechnet werden. Das gilt zum Beispiel für einen Medizinstudenten, der eine Ausbildung in einem unserer Gesundheitshandwerke macht – etwa Augenoptiker oder Zahntechniker, Hörgeräteakustiker oder Orthopädietechniker. Oder für einen Architekturstudenten, der die Uni verlässt, und im Bauhandwerk durchstartet und Unternehmer werden will. Diesen Weg ebnen wir, begleiten und moderieren. Ansonsten hat aber jeder im Handwerk gleiche Chancen – gerade auch Hauptschul- und Realschulabsolventen.
Brauchen wir weniger Akademiker?
Wir brauchen eine Bildungsumkehr. Ich spreche persönlich nicht vom „Akademisierungswahn“ – das ist überzogen, aber wir sitzen vielleicht in einer Akademisierungsfalle. Nach den neuesten Erhebungen des Bundesinstituts für Berufsbildung BIBB in Bonn werden wir bis 2030 drei Millionen mehr Akademiker haben und eine Million weniger Fachkräfte. Zugleich geht der Umfang der Akademisierung ein Stück weit am Arbeitsmarkt vorbei. Da werden jungen Leuten Hoffnungen gemacht, die sich später nicht bewahrheiten. Man sollte ihnen schon realistische Chancen aufzeigen: Bachelorabsolventen und Handwerksmeister haben in der Lebensarbeitszeit ein gleiches Gehalt von ungefähr zwei Millionen Euro, wobei der Meister es wesentlich leichter hat, überhaupt in den Beruf zu kommen. Nur zwei Prozent unserer Meister sind arbeitslos. Das ist weniger als bei Akademikern. Junge Meister werden geradezu aufgesogen von den Betrieben.
Das können junge Akademiker nicht immer von sich behaupten …
Nur ist das in der Gesellschaft nicht ausreichend bekannt. Daher unsere Imagekampagne auf Plakaten in der Stadt. Wir gehen aber auch direkt in ihrer Lebenswelt auf die jungen Leute zu, sind in den sozialen Netzwerken unterwegs, wecken ihr Interesse fürs Handwerk durch zahlreiche Aktionen. Ein erster Erfolg gelang im Vorjahr – gegen den Trend haben wir die Zahl der neuen Ausbildungsverträge zumindest geringfügig steigern können.
„Unsere Betriebe verlieren laut unseren Berechnungen
15.000 Euro pro Jahr durch Staus.“
Wäre es nicht sinnvoller, bereits vor dem Studium anzusetzen?
Richtig, zumal demografiebedingt die Zahl der Schulabsolventen in den kommenden Jahren weiter sinken wird. Wir kämpfen daher in Köln dafür, dass auch an Gymnasien die Berufsberatung die Studienberatung ergänzt. Das Handwerk selbst will noch bessere Bildungsangebote machen. Ich werbe in diesem Jahr intensiv für eine neue Bildungsmarke – das Berufsabitur. Schüler beginnen nach der 10. Klasse eine Ausbildung und lernen parallel für das Abitur. Wir versprechen uns davon, leistungsstarke junge Leute in die Betriebe zu bekommen. Die Bundesbildungsministerin unterstützt uns, jetzt werben wir um die Zustimmung der Bundesländer. In Österreich und der Schweiz wird ein vergleichbares Projekt sehr gut angenommen – und 55 Prozent bleiben direkt in den Betrieben, die anderen studieren und kehren hoffentlich als Führungskräfte in die Handwerksbetriebe zurück.
Wer genau ist die Zielgruppe?
Sehr gute Hauptschüler, die den 10-B-Abschluss gut machen, Realschulabsolventen und Gymnasiasten vor der Oberstufe.
Welche Zielgruppen gibt es darüber hinaus?
Es bleibt dabei: Wir brauchen alle. So geht das Handwerk längst auch aktiv auf Migranten zu. Im Beirat Integration durch Ausbildung im Handwerk, IDAH, kommen Multiplikatoren zusammen, die maßgeblich in ihre Communities unsere Werte und beruflichen Möglichkeiten vermitteln. Dazu gehören der türkische Generalkonsul, Politiker, wie die Integrationsbeauftragte der Landesregierung, die Deutsch-Hellenische Wirtschaftsvereinigung, russische und italienische Vertreter. In unseren Handwerksbetrieben fällt die Integration sicher leichter als anderswo, man arbeitet Hand in Hand, Meisterin oder Meister engagieren sich intensiv. Fünfzehn Prozent der Auszubildenden in Köln haben einen ausländischen Pass, ein Drittel einen Migrationshintergrund.
„Ich bin sehr gerne in Köln.
Ich mag die Stadt und es ist einfach, wie man so sagt, „et Jeföhl“.
Da nimmt Handwerk auch eine wichtige gesellschaftspolitische Funktion wahr.
Wir sehen Handwerk nicht nur als Wirtschaftsgruppe, sondern auch als Gesellschaftsgruppe. Handwerk ist sich seiner gesellschaftlichen Verantwortung bewusst. Die jungen Menschen, die in unseren Betrieben lernen, kommen aus allen Bereichen unserer Gesellschaft, haben sehr unterschiedliche Startvoraussetzungen. Sie eint die Freude an ihrem Handwerksberuf. Solche engagierten, motivierten Leute bekommen alle ihre Chance. Integration gelingt nur durch Qualifikation und durch Arbeit. Ausbildung ist im Übrigen auch die beste Versicherung gegen Arbeitslosigkeit.
In einer multikulturell geprägten Stadt wie Köln ist das schon ein großes Thema, oder?
Sicher ist das Migrationsthema hier intensiver, aber ich denke, Köln kann auch gut damit umgehen.
Gelingt das auch mit den aktuellen Flüchtlingen?
Wir haben die ersten Erfahrungen gemacht, dass es schwierig ist mit jungen Leuten, die aus anderen Kulturkreisen kommen. Sie haben große Sprach- und Integrationsprobleme. Daraus haben wir gelernt und sind jetzt sehr viel erfolgreicher mit verschiedenen Projekten. In Kooperation mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, BMZ, haben wir zum Beispiel hier in Köln junge Flüchtlinge in die Berufsvorbereitung genommen und seitens der Handwerkskammer die Gesamtmaßnahme übernommen. Wir haben für den Spracherwerb gesorgt, haben die jungen Leute bei Behördengängen begleitet – zum Beispiel zur Ausländerbehörde, zum Job-Center – haben für die Berufsorientierung gesorgt und bringen sie jetzt in die Ausbildung.
Oft wird heutzutage beklagt, dass es bei jungen Leuten bereits an Grundfertigkeiten wie Rechnen und Lesen mangelt.
In der Tat gibt es immer noch zu viele Schulabgänger ohne qualifizierten Hauptschulabschluss. Dennoch kümmern wir uns auch um die geringer Qualifizierten – über das Instrument der Einstiegsqualifizierung oder die assistierte Ausbildung nehmen wir sie mit. Ausbildung ist im Handwerk auch eine Herzenssache – und viele, die mit der Schule nicht zurecht kamen, starten erst in der Berufsausbildung richtig durch. Die Mühe machen sich die Betriebe, denn sie brauchen ja Fachkräfte, Hilfskräfte brauchen wir nur in kleinerer Zahl.
Gibt es Unterschiede zwischen den städtischen Handwerksbetrieben und denen, die eher im ländlichen Raum angesiedelt sind?
Die Standortmöglichkeiten unterscheiden sich. Hier in Köln gibt es nur relativ knappe Flächen für Handwerksbetriebe. Im Umland stehen mehr Flächen zur Verfügung, mehr Gewerbegebiete können ausgewiesen werden. Das ist dort ein Standortvorteil. Auf der anderen Seite arbeiten sehr viele Handwerksbetriebe aus dem Umland in Köln, haben hier ihre Kunden. Sie müssen aus der Peripherie einpendeln – das ist wiederum ein Standortnachteil. Ich denke, es gleicht sich aus.
Stichwort pendeln: Hier gibt es immer wieder Kritik an der Verkehrssituation – viele Staus, Baustellen, Investitionsstau. Wie positionieren Sie sich dazu als Handwerkskammerpräsident?
Wir haben den Titel „Stauhauptstadt“ ja immerhin an Stuttgart abgeben können… Aber trotzdem ist die Stausituation in Köln fatal. Unsere Betriebe verlieren laut unseren Berechnungen 15.000 Euro pro Jahr durch Staus. Das beeinträchtigt das lokale Handwerk natürlich sehr, weil wir in der Regel ortsnah tätig und damit auf gute Verkehrswege angewiesen sind. Unsere Kunden müssen für die Betriebe erreichbar sein. Ich pendle von meinem Wohnort Hürth häufig genug in die Stadt und weiß, wovon ich spreche. Die Radialstraßen wie Luxemburger, Berrenrather, Gleueler oder Brühler Straße sind alle dicht morgens. Wenn dann meine Mitarbeiter im Stau hängen, überlege ich immer, was mich das kostet. Wenn drei Mann in einem Fahrzeug sind, die morgens eine halbe Stunde da stehen und abends vielleicht noch eine Viertelstunde, sind das zusammen genommen zweieinviertel Stunden. Selbst wenn ich nur die Selbstkosten nehme, belastet mich das mit 60 bis 70 Euro pro Tag. Das können wir dem Kunden natürlich nicht in Rechnung stellen.
Viele Probleme …
Ja, aber Handwerk zeichnet sich dadurch aus, Probleme anzupacken und zu lösen. Die Bundeskanzlerin sagte einmal: „Handwerk redet nicht lang, Handwerk packt an.“ Wir sind sehr lösungsorientiert und sehen schon, dass es für die angesprochenen Probleme Lösungen gibt.
Wie meistern Sie das persönlich: Sie sind ja Präsident des ZDH in Berlin und zugleich der Handwerkskammer hier in Köln. Sind Sie überhaupt noch viel in Köln?
Ich bin sehr gerne in Köln. Aber ich bin natürlich einige Tage in der Woche in Berlin oder für den Zentralverband in ganz Deutschland, in Brüssel und Europa unterwegs. Ich bin aber mindestens einmal pro Woche in Köln, habe einen „Köln-Tag“ und einen Betriebs-Tag. Mein Köln-Bezug ist nach wie vor sehr intensiv. Meine Vorfahren kamen aus Köln-Bickendorf und sind dann irgendwann aufs Land nach Hürth gezogen. Ich mag die Stadt und es ist einfach, wie man so sagt, „et Jeföhl“. Es sind die Menschen in der Stadt, die das Lebenswerte hier ausmachen.
Da gibt’s auch keine negativen Tendenzen?
Nein, ich spür das nach wie vor: das Positive, das Lockere. Ich fühle mich immer sehr, sehr wohl, wenn ich hier in Köln in meiner Handwerkskammer am Schreibtisch sitze.
Interview: Marko Ruh, Foto: Birgitta Petershagen