Vom Ein-Mann-Werkstattbetrieb in einer Hinterhof-Garage in Köln-Mülheim zum Hidden Champion – und das in nur einer Generation. Diese Erfolgsgeschichte schreibt die heute in Köln-Lind ansässige igus GmbH. Im Interview verrät uns Geschäftsführer Frank Blase, was er von seinem Vater gelernt hat und vor welchen Herausforderungen das Unternehmen mit seinen weltweit rund 3.000 Mitarbeitern gegenwärtig steht.
Herr Blase, Sie ticken anders, liest man über Sie. Ist das vorgelebte Disruption?
Es ist auf jeden Fall eine sehr starke Neugierde vorhanden. Der Drang, neue Dinge auszuprobieren und neue Produkte auf den Weltmarkt zu bringen war bei mir schon immer stark ausgeprägt. Und das nimmt eher zu als ab.
Eine gewisse „Hands-On-Mentalität“ scheint Ihnen im Blut zu liegen. Was haben Sie noch von Ihrem Vater geerbt bzw. gelernt?
Von meinem Vater habe ich tatsächlich vieles gelernt, was ich zum Teil erst jetzt verstanden habe und auch anwende. Der andere große Einfluss ist der Beginn in der damals noch sehr kleinen Firma, der eigene Start von Null in den USA und bis heute der Aufbau ganz neuer Produktlinien. Der Wert jedes einzelnen Auftrages, ob fünf Euro oder deutlich mehr, der Wert jedes einzelnen Kunden und insbesondere der Wert jedes einzelnen Mitarbeiters: das ist etwas, was mich immer noch jeden Tag intensiv beschäftigt. Wahrscheinlich bin ich deswegen auch kein guter Manager.

Wie kam es nach Ihrem Studium in den USA zur Unternehmensnachfolge? War das von vornherein klar?
Das war auf keinen Fall klar. Ich wollte nicht nur „Sohn“ sein, und ich war mir auch gleichzeitig nicht sicher, ob die Industrie das Richtige für mich ist.
In Ihrer Firmenstrategie spielt Kundenorientierung eine maßgebliche Rolle. Gilt das für alle Unternehmensbereiche?
Es fällt bestimmt schwerer, die interne Kundenbeziehung zu organisieren, messbar zu machen und sich dafür zu begeistern. Aber möglich ist das schon und wir kümmern uns stark darum.
Vereinfacht gesagt, produziert igus Kunststoffe.
Das machen viele. Was ist Ihr Alleinstellungsmerkmal?
Wir konzentrieren uns zu 100 Prozent „nur“ auf Kunststoffe für die Bewegung. Wir nennen das „motion plastics“. Mit unserer ausgiebigen Forschung haben wir es geschafft, bewegte Maschinenelemente wie Gleitlager, Kugellager, Zahnräder und sogar Kabel aus Kunststoff für die Anwender berechenbar zu machen. Das ist zurzeit einmalig auf dem Markt. Jeder Konstrukteur kann sich so die Lebensdauer eines igus Produkts in seiner individuellen Anwendung online sicher berechnen, kostenfrei und ohne Registrierung.
Kann man igus als „Hidden Champion“ bezeichnen?
Bei unseren Kunden hoffentlich nicht. Aber der Begriff „Hidden
Champion“ zielt ja auf die breite Öffentlichkeit. Und da stimmt das sicherlich.

Es liegt auf der Hand, dass Sie Mitarbeiter mit viel Spezialwissen, Know-how und Kompetenz brauchen. Wie kommen Sie an die begehrten Fachkräfte?
Vor allem fangen wir immer wieder gerne mit jungen Menschen und Berufseinsteigern an und bieten hier viel Ausbildung und Erfahrung „on the job“ an. In den technischen Bereichen haben wir außerdem gute Erfahrungen mit „einem zweiten Bildungsweg“ gemacht, den wir oft auch zusammen mit der IHK intern organisieren. So bilden wir talentierte Erwachsene zu Kunststoffformgebern, Logistikfachkräften und anderen Berufen aus.
Ist Köln als Standort beim Recruiting ein Vorteil?
Im Moment ja. Köln ist eine Stadt, die wächst und den unterschiedlichsten Menschen eine Heimat bietet.
Angesichts Ihres bisherigen Erfolgs und der Ziele, die Sie formuliert haben: Ist in Köln-Lind Platz für noch mehr Wachstum?
Ja. Wir konnten von der Stadt Köln auf der gegenüberliegenden Straßenseite der Bundesstraße B8 ein Grundstück erwerben, das wir hoffentlich in den nächsten Jahren bebauen werden.

Frank Blase, Jahrgang 1959, ist ein echtes Kölner Urgestein, geboren im rechtsrheinischen Stadtteil Kalk. Das Gymnasium besuchte er zunächst in Köln-Mülheim, sein Abitur machte er nach einem Umzug der Familie in Bergisch Gladbach. Es folgte ein Auslandsstudium an der Texas Christian University, Fort Worth, Texas, mit dem Abschluss Master of Business Administration (MBA). Nach einem Traineeprogramm für Führungskräfte-Nachwuchs bei Unilever in Hamburg stieg er im Unternehmen des Vaters ein, zunächst als Verkäufer. Seit 1993 ist Frank Blase Geschäftsführer der igus GmbH. Neben dem Karneval – 2002 war der igus-Chef Karnevalsprinz in Bergisch Gladbach – engagiert sich Frank Blase ehrenamtlich in verschiedenen Wirtschaftsorganisationen. Seit dem vergangenen Jahr ist er unter anderem Vorsitzender des „Branchenforum Industrie Köln“.
Aufgrund der 54-jährigen Firmenhistorie kann man igus mit Fug und Recht als Kölner Traditionsunternehmen bezeichnen. Steht das im Widerspruch zu Megatrends wie „smart“, „digital“ oder „disruptiv“?
Die Welt, wie sie heute ist, lässt uns kaum Zeit dafür in Traditionen zu schwelgen. Die größte Herausforderung für igus ist zurzeit die komplette Digitalisierung, von der Berechnung im Web bis hin zur Reklamation. Danach folgt direkt die Pflege und Aufzucht von vielen kleinen internen Produkt-Start-Ups, die wir in den letzten zehn Jahren gegründet haben und auch kontinuierlich weitergründen. Neue motion plastics und intelligente Produkte, die sich selbst überwachen und ihre Lebensdauer im Realbetrieb voraussagen, kommen dazu. Und zuletzt das allerwichtigste Thema ist, wie organisieren wir die Firma so, dass die vielen Menschen eine Heimat finden, sich wohlfühlen, sich überwiegend selbstmanagen, gleichzeitig die Kunden begeistern und Geld verdienen.
Seit dem vergangenen Jahr sind Sie Vorsitzender des Kölner Branchenforums Industrie und haben dort eine Digitalisierungsagenda in den „Businessplan Industrie für Köln“ eingebracht. Mit welchem Erfolg?
Eine Agenda ist ein zu großes Wort dafür. Wir werden uns im Branchenforum gegenseitig unsere Investitionen und Erfolge der Digitalisierung zeigen. Das wird von alleine eine Wirkung erzeugen.
Und wo in Köln entspannen Sie sich ganz analog am liebsten?
Beim Einkaufsbummel mit meiner Familie und beim Besuch wunderschöner italienischer Restaurants, auch in den Vororten der Schäl Sick. Beispielsweise dem Dolce Vita in Delbrück, ein wirklich wunderbares kleines Lokal. Theater, Kino und Konzerte kommen auch gelegentlich hinzu.
Interview: Marko Ruh, Fotos: Igus GmbH