Dr. Werner Görg drückt aufs Tempo, wenn es um die Digitalisierung geht. Das Kölnmagazin sprach mit dem Präsidenten der IHK Köln über Chancen und Risiken der hiesigen Unternehmen. Insgesamt sieht Görg gute Voraussetzungen am Standort Köln. Die internationale Bekanntheit der gesamten Region könne jedoch noch verbessert werden – genauso wie die digitale Infrastruktur jenseits der Kölner Stadtmauern.

Digitalisierung gilt ja heutzutage als Querschnittsaufgabe – aber gilt das wirklich für alle Branchen?

Ja, auf jeden Fall! Die Digitalisierung betrifft definitiv jede Branche und jede Unternehmensgröße, nur in unterschiedlicher Relevanz und Intensität. Bei kleinen Unternehmen spielt zum Beispiel die Präsenz in der digitalen Welt eine Rolle, ein Mittelständler kann unter Umständen nur über eine komplett digitale Neuausrichtung seine Wettbewerbsfähigkeit sichern. Manchmal sind es kleine Schritte, wie zum Beispiel die Aktualisierung der Webseite auf responsives Design, also optimiert für alle Bildschirmgrößen. Aber in mittelständischen Unternehmen – gleich welcher Branche – ist es damit nicht getan. Die Digitalisierung von Prozessen ist vielen Unternehmen bekannt, die Wertschöpfungsketten sind schon länger auf dem digitalen Prüfstand. Heute geht es aber um mehr: Jeder Prozess, jede Produktion wird irgendwann von irgendwem auf der Welt geprüft, ob hier nicht ein digitales Geschäftsmodell dahinter steht. Das kann ganze Branchen bedrohen: Denken Sie nur an den 3D-Druck und die Automobilzulieferer. Es kann natürlich auch eine Chance sein, wenn Unternehmen diese Entwicklungen voraussehen und sich entsprechend aufstellen. Viel Zeit verlieren darf man bei dieser Überprüfung allerdings nicht mehr, die Innovationen kommen immer schneller und sind teilweise disruptiv, verdrängen Bestehendes also vollständig.

Weitere Dynamik kommt durch das Verhalten von Kunden und Geschäftspartnern in die Wirtschaft. Wer in einem zunehmend digitalen Umfeld lebt und gewohnt ist, digital einzukaufen oder selbst Inhalte zu produzieren, der hat für veraltete Technik und Ansprache wenig Verständnis. Hier punkten dann neue Unternehmen mit smarten Lösungen gegenüber tradierten Namen.

Die Digitalisierung verändert auch die Arbeitswelt. Welche Auswirkungen hat dies auf die regionale Wirtschaft?#

Die Industrie- und Handelskammer zu Köln bemerkt dies in ihrer Kernaufgabe, der Organisation der dualen Berufsausbildung. Die Berufsbilder werden gemeinsam mit Unternehmerinnen und Unternehmern den jeweiligen Anforderungen entsprechend aktualisiert und immer wieder auf ihren Praxisbezug überprüft – und entsprechend geändert. Dies ist der Vorteil der dualen Berufsausbildung: Die Ausbildungsberufe entsprechen den unternehmerischen Anforderungen und werden an neue Herausforderungen angepasst. So gewährleistet die Industrie- und Handelskammer, dass junge Fachkräfte in das Arbeitsleben entlassen werden, die dem Bedarf der Wirtschaft entsprechen und daher auch gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben.

Um den Fachkräftebedarf der Wirtschaft zu sichern, bietet die IHK Köln eine breite Palette an Fort- und Weiterbildungen an. Zertifikatslehrgänge wie zum Beispiel der SEO-Manager (Anm. d. Red.: Search Engine Optimization = Suchmaschinenoptimierung) greifen den Bedarf der Unternehmen auf. Heute gilt mehr als je zuvor die Devise: Lernen hört ein Leben lang nicht auf!

Dr. Werner Görg im Interview mit Kölnmagazin-Redakteur Marko Ruh: „Jetzt heißt unsere gemeinsame Aufgabe in der Stadt, Köln noch attraktiver für Start-ups zu machen.“

Wie sieht es in Ihrer eigenen Branche, der Versicherungswirtschaft aus? Sind InsurTechs und FinTechs eine Chance oder eine Bedrohung?

Das lässt sich nicht so schwarz-weiß beantworten. Sicher ist, dass die Versicherungswirtschaft in den nächsten Jahren vor großen Herausforderungen steht. Dadurch wird sich der Wettbewerb insgesamt verschärfen. Bisherige Geschäftsmodelle stehen auf dem Prüfstand, mit neuen wird experimentiert – teilweise mit noch ungewissem Ausgang. Auch hier gilt das zuvor Gesagte: Ohne eine kundenfreundliche und einfache Ansprache werden Sie zukünftig keine Versicherungen mehr verkaufen. Individuelle, auf den jeweiligen Kunden perfekt zugeschnittene Produkte sind heute „state of the art“. Da die Leistungen transparenter und vergleichbarer werden, wird die Unterscheidbarkeit der Anbieter anspruchsvoller. Auf der anderen Seite schaffen neue Technologien auch neue Möglichkeiten: Die Datenmenge wächst, auch die Bedürfnisse der Kunden werden dadurch transparenter. Die Kooperation mit Start-ups oder innovativen Mittelständlern kann in diesem Themenfeld zum Beispiel ein Weg sein, um die Leistungen zukunftsfähig zu gestalten.

Ist Köln für die digitale Zukunft gut aufgestellt?

Alle Erhebungen und Studien zeigen: Die Voraussetzungen am Standort Köln sind gut. Die digitale Anbindung ist gegeben, die herausragende Bildungslandschaft, der starke Branchen-Mix und eine wachsende Zahl digitaler „Player“ bieten gute Chancen. Jetzt heißt unsere gemeinsame Aufgabe in der Stadt, Köln noch attraktiver für Start-ups zu machen. Durch die vielfältigen Branchen, den starken Mittelstand auch in der Kölner Region, ist hier ein sehr gesundes wirtschaftliches Umfeld gegeben. Hier finden Start-ups nicht nur optimale Vernetzungsmöglichkeiten, viel wichtiger: Die potenziellen Kunden sind direkt vor der Tür!

Gemeinsam mit der Stadt Köln und der Universität zu Köln bündelt die IHK Köln diese Kräfte in dem Digital Hub Cologne, der eine lebendige und produktive Schnittstelle zwischen Mittelstand und Start-ups bildet. Daneben schaffen wir mit der Initiative Digital Cologne der IHK Köln eine Vielzahl von Informations- und Vernetzungsangeboten. Was aus meiner Sicht jedoch noch stärker geschehen muss, ist die internationale Wahrnehmung Kölns zu stärken. Mit der Gründung der Metropolregion Rheinland verbinde ich hier große Hoffnung, dass das internationale Marketing für unsere Region gestärkt wird. Hier können wir alle gemeinsam profitieren, Kirchturmdenken bringt uns nicht weiter.

Eine weitere Voraussetzung ist die viel besprochene Infrastruktur: Unter den Staus leidet die hiesige Wirtschaft und wir müssen verhindern, dass dieses Standortrisiko noch weiter wächst. Ebenso wichtig sind aber auch die Infrastrukturelemente Breitband und Glasfaser. Hier ist insbesondere in der Kölner Region noch viel zu tun. Unternehmen sind heutzutage so vernetzt, dass eine schnelle Internetverbindung nicht an den Stadtgrenzen aufhören darf. Die digitale Infrastruktur ist ebenso wichtig wie Straße und Schiene.

Welche Maßnahmen ergreift die IHK Köln neben dem Digital Hub Cologne und der Initiative Digital Cologne, um die Unternehmen beim digitalen Wandel zu unterstützen?

Die angesprochenen Initiativen tun schon sehr viel: Digital Cologne gibt es gerade seit 2014, im letzten Jahr gab es im Rahmen der Initiative rund 100 Veranstaltungen zu verschiedenen Aspekten der Digitalisierung. IHK-Hauptgeschäftsführer Ulf Reichardt unterstützt diese Themen auch überregional mit seinem Digitalisierungs-Know-how als Beirat der Digitalen Wirtschaft NRW beim Wirtschaftsministerium.

Digitalisierung in eigener Sache: Was ist Ihr Eindruck – stellt sich auch die IHK anders oder neu auf?

Die Digitalisierung betrifft natürlich auch die IHK selbst: Indem intern Prozesse analysiert und auf ihr Digitalisierungspotenzial hin abgeklopft werden – wobei die digitale Sicherheit besonders beim Umgang mit Unternehmensdaten eine große Rolle spielt. Weitere Eckdaten werden auf Bundes- und Landesebene durch die Electronic Government-Gesetze vorgegeben, zum Beispiel bei barrierefreier Kommunikation und elektronischen Bezahlverfahren.

Der zunehmende Bedarf an digitaler Kommunikation zwischen Wirtschaft und Verwaltung wird von der IHK Köln auch fachlich unterstützt und begleitet. So ist die IHK Köln Partner des sogenannten „Erprobungsraum Rheinland“, in dem digitale Modelle für Wirtschaft und Verwaltung erarbeitet werden. Zum anderen hat die Industrie- und Handelskammer zu berücksichtigen, welche geänderten digitalen Anbindungen ihre Mitgliedsunternehmen erwarten. Dazu zählt insbesondere die stärkere Digitalisierung eigener Fachverfahren, wie zum Beispiel im Ausbildungsbereich.

Köln wächst. Wohnungsbau vs. Gewerbeansiedlung – was hat Vorrang? Müssen flächenintensive Ansiedlungen, zum Beispiel Logistikflächen, vermieden beziehungsweise in die Region verlegt werden?

Logistikflächen müssen dringend auch in der Stadt vorgehalten werden, aus einem einfachen Grund: Je näher Logistikzentren an die City rücken, desto umweltfreundlicher ist der Transport von Gütern. Natürlich brauchen auch Industrie und Logistik entsprechende Flächen für den Warenumschlag. Dies alles unter einen Hut zu bekommen, ist nicht einfach, aber diese Aufgaben müssen wir lösen.

Seit Jahren verzeichnet die Stadt steigende Einwohnerzahlen. Dies kommt durch den lebendigen Arbeitsmarkt, die Vielfalt an Studieneinrichtungen und die hohe Dichte an Dienstleistungsangeboten. Auch viele geflüchtete Menschen suchen in Köln ihren neuen Lebensmittelpunkt. Die Attraktivität Kölns als Wirtschaftsstandort ist eng mit dem Wohnangebot verknüpft. Daher steht Köln unter hohem Entwicklungsdruck, denn trotz reger Bautätigkeit bleibt die Versorgung mit Wohnraum weit hinter dem Bedarf zurück: Bis 2019 werden rund 30.000 weitere Wohnungen benötigt, bis 2030 noch einmal 36.000. Durch zusätzliche Nachfrage von geflüchteten Menschen wird die Situation noch dringlicher. Eine Untersuchung der Stadt Köln 2015 hat Potenzialflächen für rund 49.000 Wohnungen ausgemacht. Diese Flächen müssen jetzt schnell entwickelt und bebaut werden. Nur eine konsequente Baulandausweisung kann hier helfen. Allerdings dürfen Gewerbe- und Industrieflächen nicht unter der sogenannten heranrückenden Wohnbebauung leiden, sonst würden Wirtschaftsflächen noch mehr verknappt – und mit fehlenden Wirtschaftsflächen fehlen irgendwann auch die Arbeitsplätze.

„Mit der Gründung der Metropolregion Rheinland verbinde ich große Hoffnung, dass das internationale Marketing für unsere Region gestärkt wird.“

Verschiedene Wirtschaftsräume konkurrieren um Unternehmensansiedlungen und Fachkräfte. Die IHK Köln ist auch zuständig für Leverkusen/Rhein-Berg, Oberberg und Rhein-Erft. Nur Konkurrenz oder auch Kooperation in der Region? Gibt es Beispiele für Win-Win-Situationen? Sind die Herausforderungen im ländlichen Raum anders gelagert? Welche Parallelen gibt es zwischen Stadt und Land?

Die wichtigste Klammer für die Wirtschaft in der Region ist eine funktionierende Infrastruktur. Ein positives Beispiel ist das Projekt der Rheinquerung der A553 im Kölner Süden, hiervon wird die gesamte Region profitieren. Die Herausforderungen unterscheiden sich in den einzelnen Regionen, aber die Umgebung von Köln ist ja nicht überall ländlich: In Leverkusen und im Rheinisch-Bergischen-Kreis sind die Flächen genauso knapp wie in Köln. Daher brauchen wir in der gesamten Region den Willen zur Zusammenarbeit und Verständnis für den Wachstumsbedarf der Wirtschaft. Unterschiede gibt es dennoch: In der Region rund um Köln ist der Fachkräftemangel deutlicher zu spüren als in Köln selbst. Dabei gibt es im Umland viele attraktive, zum großen Teil familiengeführte Unternehmen und auch viele Chancen durch den höheren Anteil an produzierendem Gewerbe.

Eine übergreifende Lösung für alle Regionen kann es nicht geben. Daher ist die IHK Köln mit ihren drei Geschäftsstellen in Leverkusen, Bergheim und Gummersbach dicht an den jeweiligen Unternehmen und ihren Bedürfnissen. Politik und IHK Köln entwickeln vor Ort individuelle und im Idealfall abgestimmte Lösungen. Ein Beispiel für individuell zu erarbeitenden Lösungen sind die gemeinsam mit den Kreisen und Kommunen von der IHK Köln in Auftrag gegebenen Gewerbeflächenkonzepte, in Oberberg wurde dies bereits fertiggestellt. Durch die starke Anbindung der Geschäftsstellen und der Regionen an die IHK Köln können wir Querschnittsthemen von Köln aus auch für die Region anbieten: Zum Beispiel wird „Digital Cologne“ 2017 in die Regionen gehen und die Unternehmen vor Ort über Digitalisierungsthemen informieren. Selbstverständlich stehen die einzelnen Regionen in Konkurrenz zueinander. Dazu muss ich jedoch sagen: Es ist doch besser, wenn ein Investor in der Region bleibt – auch wenn er sich in der Nachbargemeinde ansiedelt – als wenn er ganz aus dem Rheinland verschwindet. Insgesamt sind wir einzeln stark, aber gemeinsam unschlagbar. Viele der anstehenden Herausforderungen lassen sich nicht mehr in den kommunalen Grenzen lösen, interkommunale Zusammenarbeit und regionale Kooperation ist daher unabdingbar.

Zur Person
Dr. Werner Görg wurde am 28. Januar 2015 zum Präsidenten der Industrie- und Handelskammer zu Köln gewählt. Zuletzt war er dort als Vize-Präsident und Mitglied der Vollversammlung aktiv. Seit 2012 engagiert er sich als Honorar-Professor an der Uni Köln. In seinem Berufsleben ist der in Neuwied geborene Rheinländer Aufsichtsratsvorsitzender der Gothaer Versicherungen und Geschäftsführer der ROLAND Rechtsschutz Beteiligung GmbH. Seine Laufbahn begann der Jurist in der Finanzverwaltung von Rheinland-Pfalz, ehe er 1987 in die Steuerabteilung der Gothaer Versicherungsbank eintrat. Den in Köln ansässigen Versicherungskonzern prägte er als Vorstandsmitglied und -vorsitzender in mehreren Sparten wesentlich mit.

Stadtverschönerung und Einzelhandel: Sind Business Improvement Districts, zu deutsch Immobilien- und Standortgemeinschaften (ISG) eine Lösung?

Die Erfahrungen aus der 2013 gescheiterten ISG Kalker Hauptstraße, bei der das erforderliche Quorum von 25 Prozent zur Gründung nicht erreicht wurde, zeigen, dass trotz gesetzlicher Rahmenbedingungen Stadtverschönerung und Einzelhandelsoptimierung von verschiedenen Faktoren, insbesondere aber der Beteiligung von Immobilieneigentümern und Unternehmen in gleicher Weise abhängen. Mit der Entscheidung des Rates zur Bildung der ISG Severinstraße werden in den kommenden drei Jahren Rahmenbedingungen geschaffen, um unter Beteiligung aller Eigentümerinnen und Eigentümer das Quartier Severinstraße zu fördern.

Damit wird eine Grundlage, nicht aber auch automatisch ein Lösungsansatz für alle Probleme der Stadtverschönerung und der Stabilisierung von Einzelhandelslagen geschaffen. Welche Kriterien erforderlich sind, um den Besuchern der Innenstädte weiterhin attraktive Rahmenbedingungen zu schaffen, werten die Industrie- und Handelskammer zu Köln gemeinsam mit dem Handelsverband NRW und dem Institut für Handelsforschung auf Grundlage der bundesweiten Befragung „Vitale Innenstädte 2016“ derzeit aus.

Vieles in Köln ließe sich jedoch auch schon mit einfachen Mitteln aber durchschlagendem Erfolg verbessern: Beseitigung von Baustellenresten und Fahrradleichen, mehr Bewusstsein für Sauberkeit schaffen, Unterführungen und Dreckecken säubern und beleuchten. Die Stadt Köln hat mit der Domumgebung und der Plattform für Bürgerbeschwerden sehr gute Schritte unternommen. Als zweite Maßnahme gilt es jetzt, von den guten Taten auch zu berichten. Dabei könnte die starke Köln-Community helfen, gute und attraktive Bilder der Stadt zu verbreiten. Hier gibt es noch viel Potenzial.

Was verbindet Sie persönlich mit Köln?

Köln ist meine Wahlheimat, ich liebe die Mischung aus Weltoffenheit und Überschaubarkeit, Köln hat für mich genau die richtige Größe, und die Lage mitten in Europa ist fantastisch. Ganz sicher würde ich mich ohne den starken Wissenschaftsstandort Köln und seine Hochschulen nicht so wohl fühlen an diesem Ort. Die sehr gut ausgebildeten Fachkräfte hier in der Region zu halten, ist eine vordringliche Aufgabe. Ganz persönlich schätze ich auch die Auswahl an guten Restaurants, das macht auch ein großes Stück Lebensqualität aus.

 

Interview: Marko Ruh, Fotos: Jan Knoff