Seit gut einem Jahr steht der Zurich Campus in Köln-Deutz. Alle 2.800 Mitarbeitenden im Rheinland sind damit unter einem Dach vereint – wäre da nicht Corona. Mit Dr. Carsten Schildknecht, CEO der Zurich Gruppe Deutschland, sprachen wir über den Umgang des Unternehmens mit der besonderen Situation – und über die Vorteile des neuen Standorts sowie den erfolgreich gestarteten Strategieprozess, der auch einen Wandel in der Unternehmenskultur eingeläutet hat.

Herr Dr. Schildknecht, wie viele Ihrer Kolleginnen und Kollegen arbeiten momentan im Zurich Campus in Köln-Deutz?

Wir haben zurzeit zehn bis 20 Prozent der Belegschaft auf freiwilliger Basis hier. Im Unterschied zum März/April haben wir keinen Lockdown angeordnet, sondern setzen auf Freiwilligkeit und Flexibilität. Diejenigen, die sich auch auf dem Weg ins Büro sicher fühlen, können gerne hierher kommen. Wir haben im Gebäude alle denkbaren Voraussetzungen dafür geschaffen. Wer zu einer Risikogruppe gehört oder Angehörige aus einer Risikogruppe hat, kann natürlich im Homeoffice arbeiten. Unsere Zielsetzung ist, unter 20 Prozent Belegung des Gebäudes zu bleiben, obwohl wir die AHA-Regeln bis etwa 50 Prozent Auslastung einhalten würden. Aber so sind wir auf der ganz sicheren Seite.

War Ihr Umzug eigentlich vollständig abgeschlossen?

Wir sind mit dem Großteil der Mitarbeitenden im Oktober 2019 umgezogen; im Februar wurden die letzten Gebäudeteile bezogen. Das war kurz vor dem Lockdown am 17. März. Leider konnten wir das schöne neue Gebäude noch gar nicht richtig genießen…

Normalität hatten Sie hier am neuen Standort also nur ganz kurz?

Knapp fünf Monate, zwischen Oktober und März, aber die haben sich super angefühlt!

Waren Sie vor dem ersten Lockdown auf Homeoffice eingerichtet?

Das Thema Homeoffice ist uns vertraut. Wir waren sehr gut vorbereitet, weil wir schon vor der Pandemie etwa ein Drittel Homeoffice, ein Drittel Flex-Office und ein Drittel Fix-Office hatten. Das heißt, die gesamte moderne Infrastruktur für Homeoffice war bereits vorhanden und auf den Rechnern installiert.

Wenn alle oder ein großer Teil im Homeoffice arbeitet, wie erreichen Sie die Mitarbeitenden?

Auf verschiedenen Wegen: Zum Beispiel haben wir die Zahl der CEO Calls stark hochgefahren. Darin wende ich mich per Video an die gesamte Belegschaft. Normalerweise machen wir das einmal im Quartal. Dieses Jahr haben wir schon sechs zusätzliche CEO Calls gemacht, um das Team auf dem Laufenden zu halten, wie wir mit der Krise umgehen.

Interne Kommunikation ist in einer solchen Phase also besonders wichtig?

Ja, und auch in neuen kreativen Formaten. Unter strengsten Sicherheitsauflagen haben wir zuletzt eine „Strategie-Show“ produziert, um unseren Mitarbeitenden im Live-Stream ein Update zu unserer Fünf-Jahres-Strategie zu geben. Dafür haben wir die Heavytones engagiert, die früher mit Stefan Raab aufgetreten sind. Wir haben unsere Halbzeitbilanz wie eine Late Night Show inszeniert und anschließend gestreamt. 2.800 Kolleginnen und Kollegen waren fast zwei Stunden bis zum Ende live dabei. Das informative und gleichzeitig unterhaltsame und lockere Format kam sehr gut an. Das knüpft nahtlos an einen Kinofilm an, den wir im letzten Jahr gedreht haben und allen Mitarbeitenden unter anderem im Kölner Cinedom präsentiert haben. Der Vorstand hat jede und jeden einzeln begrüßt, ich habe nach der Werbung Eis verteilt. Das im Film gezeigte Leitbild ist ein ICE, der als Sinnbild für unsere Strategiefahrt steht, um unsere Ziele für 2023 zu erreichen.

Was steckt hinter solchen Aktionen?

Wir versuchen, eine neue Unternehmenskultur zu schaffen und setzen dabei auch auf die Wirkung einer exzellenten Unternehmenskommunikation. Immerhin sind wir der älteste Versicherer in Köln – die Agrippina ist ja in der Zurich aufgegangen – und transformieren dieses Versicherungsunternehmen in die Moderne. Für die Art, wie wir miteinander umgehen und miteinander kommunizieren, steht auch das neue Gebäude: flache Hierarchien, der Vorstand hat keine Einzelbüros und auch keine eigene Etage mehr, ich sitze im Open Space. Wir duzen uns übrigens auch alle.

Ziehen bei diesen neuen Formaten alle gleich mit?

Bei aller Kreativität muss man die komplette Mannschaft dafür begeistern. Manchen fällt es leichter, manchen schwerer, aber alle haben sich darauf eingelassen und ziehen an einem Strang. Wir reflektieren natürlich, und hatten schon ein wenig Sorge, ob das mit dem Film und der Show etwas „over the top“ ist, aber das Feedback war wirklich fantastisch. Der Kulturwandel, den wir eingeleitet haben, schlägt sich auch in der Mitarbeiterzufriedenheit nieder. Da haben wir uns in den letzten fünf Messungen seit 2017 enorm verbessert.

Spiegelt sich das auch im Unternehmenserfolg wider?

Auch geschäftlich ist es uns gelungen, das Schiff zu drehen. Wir wachsen wieder, und zwar deutlich schneller als der Markt. Das kombinierte Programm aus Kulturwandel auf der einen und Neuausrichtung der Strategie auf der anderen Seite funktioniert. Deshalb fiel unsere Halbzeitbilanz im Hinblick auf unser Fünf-Jahres-Programm sehr positiv aus. Es gibt zwar noch Einiges zu tun, das möchte ich nicht verbergen. Aber wir sind in allen Dimensionen vorangekommen.

In diesen Zeitraum fiel auch der Umzug nach Köln-Deutz. Welche Gründe sprachen für den neuen Standort?

Köln ist eine Hauptstadt der Versicherungen in Deutschland. Sehr viele Hochschulen der Versicherungslehre sind hier angesiedelt und extrem stark. Insofern ist es ganz natürlich, dass ein großer und führender Versicherer wie Zurich nach Köln geht. Dabei haben wir auch das Selbstverständnis, eine Premiumlage zu wollen. Allein die Anbindung spricht für sich – das ist ja, als ob wir hier einen eigenen ICE-Bahnhof hätten. Dass man diesen Standort im Herzen von Köln überhaupt noch so bebauen konnte, ist schon fantastisch. In Frankfurt sitzen wir übrigens auch direkt an einem ICE-Bahnhof. Uns trennen nur 40 bis 50 Minuten ICE-Fahrt. Köln liegt in einer Wirtschaftsregion mit solidem und breitem Fundament und hohem Potenzial bei entsprechenden Rahmenbedingungen. Das ist keine Selbstverständlichkeit, sondern muss nach vorne gerichtet auch von jeder und jedem Verantwortlichen – übrigens auch auf politischer Ebene – stets mit Leben gefüllt werden. 

Helfen die vorhandenen Hochschulen in Verbindung mit dem Standort Köln beim Recruiting?

Ja. Und wir sind in diesem Corona-Jahr gewissermaßen antizyklisch unterwegs, indem wir unsere Ausbildung hochgefahren haben. Denn wir glauben an den Erfolg unserer Wachstumsstrategie und werden 2023 neue Kolleginnen und Kollegen brauchen. Dabei arbeiten wir mit den Hochschulen in dualen Studiengängen eng zusammen.

In Köln gibt es ja auch so manche Insurtechs. Ist die Nähe zu Innovativen von Vorteil?

Köln hat eine starke Startup-Szene, gerade auch im Fintech- und Insurtech-Bereich, und wir suchen die Nähe. Für uns ist nicht nur wichtig, selbst Innovation zu betreiben, sondern auch in der Startup-Szene vernetzt zu sein. Nicht jede Idee, die wir toll finden, müssen wir selber bis zur Reife vorantreiben. Da nehmen wir auch gerne etwas von außen hinzu – von Kooperationen über Joint-Ventures bis hin zur Akquisition eines Startups. Mit dem InsurHack® haben wir 2016 hier in Köln auch den ersten Hackathon für die Versicherungsindustrie ins Leben gerufen. Das war ein sehr erfolgreiches Event im RheinEnergieSTADION mit Teilnehmenden aus der ganzen Welt.

Und aus solchen Aktivitäten entstehen dann auch tatsächliche Dienstleistungen und Prozesse?

Ja, das hält in allen Bereichen Einzug. Anfangs bezog sich die Fintech-und Insurtech-Szene sehr stark auf Prozesse an der Kundenschnittstelle. Mittlerweile gibt es Verbindungen mit Startups entlang der gesamten Wertschöpfungskette.

Nimmt durch die Digitalisierung die Kundennähe ab?

Nein. Es gibt nicht den einen Kunden, auch nicht im digitalen Zeitalter. Es gibt Kunden, die sehr digital-affin sind. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Kunden, die sich zwar im Internet informieren, dann aber doch auf Beratung und Service setzen, bevor es zu einer Entscheidung kommt. Gerade in der Lebensversicherung unterschreibt man ja nicht alle naselang einen Vertrag. Da möchte man doch gut beraten sein und einen Ansprechpartner haben.

Der persönliche Kontakt besteht also weiterhin?

Als es mit der Digitalisierung anfing, hatte man dem physischen Vertrieb bereits einen Abgesang prophezeit. Wir als Zurich sind da heute klüger, setzen weiter auf unsere Ausschließlichkeit und den Maklervertrieb. Auf der Bankenseite profitieren wir von unserer exklusiven Partnerschaft mit der Deutschen Bank. Gerade da geht es viel um Service und Beratung. Trotz Pandemie konnten wir unseren Vertrag gerade um weitere zehn Jahre bis 2032 verlängern und sogar ausbauen, indem wir ihn auf die Postbank ausgedehnt haben.

Langfristige Partnerschaften sind auch eine Form von „Nachhaltigkeit“ – der Begriff taucht ja immer wieder in Ihrer Öffentlichkeitsarbeit auf. Ist das eine Imagesache oder lässt sich damit auch Geld verdienen?

Wir als Zurich meinen es wirklich ernst mit Nachhaltigkeit und haben uns das Ziel gesetzt, eines der nachhaltigsten Unternehmen der Welt zu sein. Schon jetzt sind wir im Dow Jones Sustainability Index als nachhaltigster Versicherer ausgezeichnet. Das hängt vor allem damit zusammen, dass wir sehr früh und substanziell in das Thema Nachhaltigkeit eingestiegen sind.

Können Sie das konkretisieren?

Eines unserer Ziele ist, durch Impact Investing so zu investieren, dass wir jedes Jahr fünf Millionen Tonnen CO2-Äquivalent vermeiden. Das entspricht immerhin dem CO2-Ausstoß von rund einer Million Autos pro Jahr. Außerdem wollen wir laut Zielvorgabe fünf Millionen Menschen direkt helfen. Fünf Milliarden Euro haben wir bei einer Gesamtbilanz von weltweit rund 200 Milliarden Euro bereits in Impact Investments gesteckt. Dadurch werden bereits drei Millionen Tonnen CO2-Ausstoß pro Jahr vermieden. Und vier Millionen Menschen wird mit diesen Invests direkt geholfen.

Dr. Carsten Schildknecht (51) studierte an der Technischen Universität Darmstadt Wirtschaftsingenieurwesen und promovierte im Fachbereich Technologiemanagement und Marketing. Seine Karriere begann er als Berater bei McKinsey. Anschließend war Schildknecht viele Jahre in der Vermögensverwaltung der Deutschen Bank tätig, ehe er in die Versicherungsbranche wechselte. Von 2013 bis 2016 steuerte er als COO das operative Geschäft der Generali. 2017 wurde er Investor und Berater von Fintechs und übernahm im Februar 2018 den Vorstandsvorsitz der Zurich Gruppe Deutschland mit heutigem Sitz in Köln-Deutz.

Was tut Zurich selbst für Nachhaltigkeit?

Als Unternehmen selbst haben wir uns zum Ziel gesetzt, bis 2050 CO2-neutral zu sein. Unsere Gebäude und Kantine haben die höchsten Standards. Wir setzen aber nicht auf dirigistische Maßnahmen und Verbote, sondern auf die Attraktivität nachhaltiger Angebote. Zum Beispiel beim Thema Mobilität: Wer keinen Firmenwagen haben will, kann stattdessen auch die BahnCard 100 oder 50 erhalten. Auch die Nutzung des ÖPNV fördern wir für alle Mitarbeitenden.

Können Sie auf Kundenverhalten Einfluss nehmen?

Als Versicherer hat man große Stellschrauben beim Thema Nachhaltigkeit. Allein auf der Investitionsseite, wie geschildert. Kunden und Kundinnen können wir nachhaltige Produkte empfehlen. Zum Beispiel kann man bei uns eine fondsgebundene Altersvorsorge abschließen, die zu hundert Prozent auf nachhaltigen Geldanlagen basiert. Als Industrieversicherer bereiten wir unsere Kunden darauf vor, Klimarisiken besser zu managen, indem sie darauf achten, wo und wie man produziert, wie Logistikketten aussehen usw. Wir beraten dahingehend, solche Risiken zu vermeiden. Und die Risiken, die übrig bleiben, versichern wir.

Klimarisiken managen, kann man das wirklich?

Man kann das. Und wir tun das. Beispielsweise mit der Initiative des „Zurich Forest“. Das ist ein Gemeinschaftsprojekt mit dem Instituto Terra des Fotografen Sebastião Salgado. Er ist Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, ein fantastischer Fotograf, und er hat die Farm, die er von seinen Eltern im Zustand einer Wüste geerbt hat, in einen Regenwald zurückverwandelt. Aus etwa 500 Baum- und Strauchsorten hat Sebastião 120 ausgesucht und ein ganz ausgeklügeltes Pflanzprogramm kreiert. So ist nicht nur ein Regenwald in Brasilien wieder entstanden, sondern auch die ganze Fauna wieder zurückgekommen, inklusive Leoparden und der ganzen Vogelwelt.

Und das ist der Zurich Forest?

Mit Sebastião Salgado haben wir ein 8-Jahres-Programm gestartet: Unser Zuschuss deckt die Pflanzung von einer Million zusätzlicher Setzlinge, die eine Gesamtfläche von 700 Hektar Land bedecken werden. Das entspricht fast eintausend Fußballfeldern. Was ich hervorheben will: Das ist jetzt nicht einfach ein weiteres Baumprojekt, das Tolle daran ist die Artenvielfalt in einem nachhaltigen Wald. Hier entsteht ein intakter Regenwald, der auch alleine überlebensfähig ist. Wir sind stolz darauf, dieses Projekt zu unterstützen.

Ein anderes großes gesellschaftliches Thema ist Diversität…

Diversität ist nicht nur ein Modewort für uns, wir leben das auch. Für uns ist wichtig, dass Teams divers sind, dass es unterschiedliche Ausrichtungen gibt und jede und jeder sich einbringt. Respekt vor dem Individuum ist uns sehr wichtig. Hierzu haben wir auch Führungsleitlinien entwickelt. Wir glauben auch, dass man erfolgreicher und stärker ist, wenn man nicht nur Stereotypen in Teams hat.

Das wollten Sie auch nach außen zeigen?

Richtig, indem wir im September im Rahmen der ColognePride unseren 15-stöckigen Neubau in den bekannten Regenbogen-Pride-Farben erstrahlen ließen. Damit haben wir ein sichtbares Zeichen hier in Köln-Deutz gesetzt.

Wie war das Feedback?

Wir haben sogar von den Wettbewerbern viel Zuspruch erfahren. Auch die Kollegen vom Wettbewerber nebenan haben das sehr positiv kommentiert. Der Vorstandsvorsitzende hat in LinkedIn geschrieben, dass er gut findet, was die Zurich da macht und will nächstes Jahr auch dabei sein. Das fand ich sehr erfreulich.

Entsteht so etwas aus dem Team heraus?

Man kann so was natürlich Top-down anordnen. Aber es sagt doch viel mehr über ein Unternehmen aus, wenn sich in der Belegschaft eine ganze Gruppe findet, die die Sache in die Hand nimmt und auf den Vorstand zukommt. In 90 Prozent aller Fälle sagen wir: Ja, das unterstützen wir sehr gerne, und es ist schön, dass ihr die Initiative ergreift. Genauso war das bei der Beleuchtung. Das war von langer Hand von einem Team geplant, wir als Vorstand haben die finanziellen Ressourcen zur Verfügung gestellt.

Hat das auch mit Ihrer neuen Unternehmenskultur zu tun?

Ja, so wird man ein Unternehmen, das aus 4.500 Kolleginnen und Kollegen besteht. Wenn die sich alle mit Leidenschaft einbringen, diese Power kann man nicht toppen. Das bringt unser Kulturwandel hervor.

Bottom-up ist also Ihre Wunschvorstellung?

Wir geben sicher Leitlinien vor. Nur Bottom-up funktioniert auch nicht. Aber Bottom-up hat eine Dynamik, die man nicht über Hierarchie oder Management ersetzen kann.

Hatten Sie trotz Corona schon Gelegenheit, Köln ein wenig zu erkunden?

Ich kenne Köln sehr gut, weil ich in Aachen aufgewachsen bin. Wir hatten schon mehrere Veranstaltungen und Partys in der Flora – ein wunderschönes Gebäude. Zu meinen Lieblingshallen gehören auch die Balloni-Hallen, wo wir jetzt auch produziert haben. In Köln gibt es wirklich tolle Locations für Unternehmens-Events.

Was wünschen Sie sich für das kommende Jahr?

Dass wir sehr zügig einen gut wirkenden Impfstoff bekommen und so etwas wie Normalität zurückgewinnen. Vor allem wünsche ich mir, dass möglichst viele Menschen gesund bleiben und wir diese Pandemie nicht nur beherrschen werden, sondern hoffentlich auch viel gelernt haben, um zukünftige Pandemien zu vermeiden.

Das Interview führte Marko Ruh.

 

Fotos: Birgitta Petershagen