Köln und DLR – das gehört zusammen. Seit über einem halben Jahrhundert wird in Köln-Porz in Sachen Luft- und Raumfahrt geforscht. Mit den Jahrzehnten kamen noch weitere Wissenschaftsgebiete hinzu. Dr. Rolf-Dieter Fischer, Standortleiter des DLR in Köln und verantwortlich für das Technologiemarketing, erklärt, wie aus Weltraummissionen neue Produkte für die Erde entstehen und in welchen Bereichen er die größten Forschungspotenziale sieht.

Herr Dr. Fischer, Sie sind Leiter des DLR-Standortes in Köln. Ist das eigentlich der größte DLR-Standort in Deutschland?

Er ist mit dem Sitz des Vorstandes und der Hauptverwaltung die Zentrale. Bezüglich der Mitarbeiterzahl sind wir der zweitgrößte Standort nach Oberpfaffenhofen bei München.

Aber Köln ist der älteste Standort des DLR?

Der Standort hier in Köln ist 1959 gegründet worden und hat somit eine lange Tradition. Die Vorläuferorganisationen wurden ab 1907 gegründet. Seit 1997 sind wir nicht nur Forschungseinrichtung, sondern auch Raumfahrtagentur und koordinieren im Auftrag der Bundesregierung die Raumfahrtaktivitäten Deutschlands.

Ein wichtiger Aspekt hierfür war sicher auch die Ansiedlung der ESA?

In den 1980er-Jahren wurden mehrere Raumfahrtzentren ausgebaut. In Köln entstand das Deutsche Astronautentrainingszentrum, das dann ab 1994 zum Sitz des Europäischen Astronautenzentrums wurde.

Was sprach 1959 dafür, dass man sich in Köln niederlässt? Und was spricht heute noch dafür?

Das Gelände selbst ist historisch gewachsen. Es sind im Laufe der Jahre viele Großanlagen hier entstanden. Eines der ersten Institute, das hier angesiedelt wurde, ist das Institut für Antriebstechnik. Hierfür wurden sehr früh auch Triebwerks- und Triebwerkskammerprüfstände gebaut, die vor kurzem unter Industriebeteiligung erweitert und ausgebaut wurden. Wenn Sie dann einmal über eine Ansammlung von Versuchsanlagen verfügen, die ja stationär sind und aus Kostengesichtspunkten nicht einfach woanders hingestellt werden können, wächst die Bedeutung des Standorts. Ein anderer Aspekt ist die regionale Infrastruktur: Wir haben den Flughafen in der Nähe sowie die Städte Köln und Bonn mit ihren Netzwerken zu Wirtschaft und Wissenschaft. Damals war außerdem die Regierungsnähe zu Bonn ein Argument – mit Forschungs- und Wirtschaftsministerium.

Dr. Rolf-Dieter Fischer, Standortleiter des DLR

Für den Wissenschaftsstandort Köln ist das DLR ein attraktiver Imagefaktor. Gibt es weitere Verflechtungen?

Für die Stadt Köln ist das DLR ein attraktiver Forschungspartner, der den Firmen und Forschungseinrichtungen die Möglichkeit gibt, davon zu profitieren und mit uns zusammenzuarbeiten. Ich komme gerade eben von einer Sitzung der Kölner Wissenschaftsrunde. Darin sind wir bereits seit der Gründung durch OB Schramma beteiligt. Gemeinsam haben wir 2013 das Themenjahr Luft- und Raumfahrt mit vielen Veranstaltungen in ganz Köln initiiert. Es macht Spaß mitzuerleben, wie sehr sich die Kölnerinnen und Kölner für unsere Themen begeistern.

Arbeiten Sie mit anderen Instituten in der Region zusammen oder sind Sie relativ autark in Ihrer Forschungsarbeit?

Ein Beispiel ist gerade unser Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin, das unter anderem mit der Deutschen Sporthochschule Köln kooperiert und physiologische Untersuchungen für die Gesundheit der Astronauten und der Menschen auf der Erde durchführt. Wenn es um klinische Untersuchungen geht, arbeitet das Institut zum Beispiel mit der Universitätsklinik zu Köln zusammen. Auch mit anderen Forschungseinrichtungen wie zum Beispiel der Fraunhofer- oder Max-Planck-Gesellschaft gibt es immer wieder Kooperationen. Dies gilt auch für die anderen Kölner DLR-Institute

Ganz allgemein: Ist das DLR in Köln auf Expansionskurs?

Bezogen auf die räumliche Ausdehnung haben wir noch Reserven. Das DLR ist in den letzten Jahren sehr stark gewachsen, auch im Rahmen des Paktes für Forschung, der von der Bundesregierung mit den außeruniversitären Forschungseinrichtungen verabredet wurde. Aber das geht jetzt in eine Sättigung, sodass man nicht mehr von einem ungebremsten Wachstum sprechen kann. Die Forschungsaktivitäten werden sich immer wieder behaupten müssen. An der Stelle sind wir auf neue und interessante Themen angewiesen, um für gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Nutzen zu arbeiten und Wissen für morgen zu erzeugen.

Wird am DLR mit Forschung auch Geld verdient?

Forschung per se ist zunächst einmal nicht darauf angelegt, Geld zu verdienen. Das verbietet auch unsere Satzung, weil wir ein gemeinnütziger Verein ohne Gewinnerzielungsabsicht und zum Teil staatlich finanziert sind Das DLR wird zur Hälfte seines Budgets vom Wirtschaftsministerium getragen, die Länder finanzieren zu zehn Prozent mit. Ein Teil der Mittel wird aber auch durch Kooperation mit der Industrie am Markt eingeworben. Darüber hinaus kommen auch europäische Mittel zum Einsatz. Mit Forschungsergebnissen Geld zu verdienen, ist dann Aufgabe der Partner in der Wirtschaft, die die Erkenntnisse aus unserer Arbeit nutzen, um neue Produkte und Dienstleistungen auf den Markt bringen.

Wie wird in die Forschung investiert?

Das ist ein wesentlicher Punkt. Wir investieren in unsere Anlagen und Großanlagen, um damit Forschung betreiben zu können, die andernorts nicht möglich ist. Wissenschaft wird aber vor allem über Köpfe betrieben – wir investieren also immer auch in unsere Mitarbeiter.

Wo rekrutieren Sie „Ihre“ Köpfe?

Fachkräftemangel ist zunehmend ein Thema. Wir versuchen deshalb, das DLR als renommierte Forschungseinrichtung zu positionieren. Unser zentrales Personalmarketing kümmert sich darum, junge Leute anzusprechen und das DLR an Bildungseinrichtungen national und international bekannt zu machen. Viele spätere Mitarbeiter kommen im Rahmen ihrer Aus- und Weiterbildung zum DLR. Studenten fertigen hier ihre Bachelorarbeit, ihre Diplomarbeit oder ihre Promotion an. Daraus rekrutiert sich ein Großteil der Mitarbeiter.

Kann man sagen, dass das DLR für Köln eine Magnetwirkung hat?

An der Stelle spielt die regionale Vernetzung eine wichtige Rolle, sprich die Zusammenarbeit mit den Forschungseinrichtungen im Köln-Bonner Raum, mit der Universität, den Fachhochschulen, die es in Köln und Bonn ja in vielfältiger Weise gibt. Es existieren konkrete Kooperationsverträge zum Beispiel mit der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, der Universität zu Köln, der RWTH Aachen oder der Universität Bochum. Daneben kooperieren wir aber auch international, zum Beispiel mit dem MIT oder der Stanford University.

Wie international sind Sie?

Ein Partner in der europäischen Luft- und Raumfahrtindustrie ist Airbus Defense and Space, bekanntermaßen ein deutsches und französisches Unternehmen. Nicht zuletzt durch das europäische Astronautenzentrum der ESA, der 22 Länder angehören, verfügen wir schon über einiges an internationalen Verflechtungen. Zur Unterstützung der Zusammenarbeit mit unseren internationalen Partnern verfügen wir über Büros in Brüssel, Paris, Washington und Tokio.

Wird am DLR Forschung auf Weltniveau betrieben?

Wir bearbeiten als führende Forschungseinrichtung für Luft- und Raumfahrt auch globale Themen, die nicht allein national gestemmt werden können und sich nur im internationalen Verbund bewältigen lassen. Die internationale Raumstation ISS ist ein Beispiel dafür.

Sie sind hier einerseits der Standortleiter, andererseits kümmern Sie sich auch um den Technologietransfer in die Wirtschaft. Wie funktioniert das?

Es geht darum, den Unternehmen der Wirtschaft im engeren, also dem Köln-Bonner Raum und bundesweit das DLR als Technologieschmiede und Innovationstreiber bekannt zu machen. Wir entwickeln Technologien nicht nur für Luft- und Raumfahrt, Energie, Verkehr und Sicherheit, sondern auch für viele andere Branchen. Wir erarbeiten Ergebnisse, die nicht nur in großen, sondern auch in kleinen und mittleren Unternehmen gewerblich eingesetzt werden können.

Können Sie dafür ein konkretes Beispiel nennen?

Mein Lieblingsbeispiel aus der Raumfahrt: Wir haben ja letztes Jahr alle miterlebt, wie erstmalig eine Sonde auf einem Kometen gelandet ist. Auf dem Lander war eine Kamera installiert, um den Landeort zu fotografieren. Darin steckte ein hochempfindlicher Sensor, sehr robust, leicht, langlebig und hochauflösend. Die Entwicklung dieses Sensors haben wir weiter betrieben. Da er in der Lage ist, mehr als 200 Graustufen zu unterscheiden, kann er unter anderem auch aufsteigenden Rauch erkennen und Alarm auslösen.

Das heißt, in Rauchwarnmeldern steckt Raumfahrttechnologie?

Nicht in Haushaltsgeräten, aber in großen Waldgebieten in den neuen Bundesländern kommt das bereits zum Einsatz. Früher saßen da Waldarbeiter stundenlang auf Türmen und hielten Ausschau nach Rauch. Heute sind dort Systeme installiert, die automatisch den Wald absuchen und Alarm auslösen, sobald sie Rauch erkennen. Die Waldarbeiter sitzen jetzt in einer Zentrale am Bildschirm und können im Notfall Feuerlöschmaßnahmen einleiten.

Wenn Forschungsergebnisse, die hier generiert werden, in die Wirtschaft gelangen, müssen die betreffenden Unternehmen dafür bezahlen?

Wir sind zwar gemeinnützig, aber nicht wohltätig. Wir erteilen Lizenzen für Technologien, für die Lizenznehmer dann marktübliche Gebühren zahlen. Für Forschungsleistungen, die wir im Auftrag erbringen, nehmen wir ebenfalls gängige Marktpreise. Es geht auch darum, unsere Großanlagen für Industriepartner zur Nutzung zu bringen. Nur so können wir den Betrieb der Anlage, die Abschreibung und Reinvestitionen absichern.

Wie oft werden Ihre Anlagen in Anspruch genommen?

Durch die Nutzung der Anlagen für unsere eigenen Forschungsprojekte als auch durch Industriepartner sind die Anlagen nahezu ausgelastet.

„Wissenschaft wird vor allem über Köpfe betrieben“, so Dr. Rolf-Dieter Fischer.

In welchen Bereichen sehen Sie die größten Potenziale?

Für die Energiewende sind die Erneuerbaren Energien ein entscheidendes Thema. Um dazu beizutragen, haben wir hier in Köln das Institut für Solarforschung und eine Versuchsanlage für konzentrierende Solarthermie. Das ist der Teil der Solartechnik, der sich mit der Wärmenutzung der Sonne beschäftigt – nicht zu verwechseln mit der Photovoltaik. Wir haben dazu mit Jülich einen weiteren Standort, an dem ein Solarversuchskraftwerk steht. Da testen wir Technologien, die in Spanien und Nordafrika bereits kommerziell zum Einsatz kommen und heute schon im 50- bis 100-Megawatt-Bereich Strom erzeugen. Das ist ein Sektor, der – so denke ich – sehr stark zunehmen wird und muss.

Letzte Frage: Wann geht es auf den Mars?

Meine persönliche Meinung: Da werden wir noch einige Jahrzehnte brauchen, bevor die erste bemannte Reise zum Mars stattfindet. Derzeit ist die Tendenz, erst einmal operationelle Erfahrung zu sammeln. Es gibt Bestrebungen der ESA, zurück zum Mond zu gehen, den zuletzt 1972 ein Mensch betreten hat. Zum Mond fliegt man in drei Tagen, zum Mars dauert es etwa ein Jahr. Man kann auf dem Mond testen, wie man eine Station aufbaut und dabei Ressourcen vor Ort nutzen kann. Es gibt ja bekanntermaßen Wasservorräte auf dem Mars und auch Wasservorkommen auf dem Mond. Es existieren Mineralien, die man dort abbauen kann. Eine aktuelle Idee ist, aus dem vorhandenen Mondgestein Baustrukturen zu schaffen. Hierzu laufen am Standort Köln erste Machbarkeitsstudien.

Zur Person
Dr. Rolf-Dieter Fischer, Jahrgang 1955 und Diplom-Physiker, studierte Physik und Sportwissenschaften an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Nach dem Diplom in Physik promovierte er 1986 über experimentelle Kernphysik mit Schwer-Ionen. Von 1987 bis 1994 war Dr. Fischer als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V. verantwortlich für Ausbildung und Training der deutschen Wissenschaftsastronauten und arbeitete an der Vorbereitung und Durchführung der Zweiten Deutschen Spacelab-Mission mit. 1995 baute er im DLR den Bereich Technologiemarketing auf, den er seit 1999 verantwortlich leitet. Das DLR-Technologiemarketing unterstützt die DLR-Wissenschaftler in mehr als 30 Instituten darin, ihre Ideen in Projekten zusammen mit Unternehmen der Wirtschaft zu neuen Produkten und Dienstleistungen zu entwickeln. Seit 2009 ist Dr. Rolf-Dieter Fischer zusätzlich Leiter der DLR-Standorte Köln, Bonn und Jülich.

Basieren solche Überlegungen auf reiner wissenschaftlicher Neugierde?

Ohne Grundlagenforschung, Wissenschafts- und Neugier-getrieben, wird es keine Innovationen geben, keine neuen Erkenntnisse, die es erlauben, ganz neue Produkte auf der Erde zu entwickeln. Aus meiner Sicht müssen wir dem Wissenschaftler den Raum lassen, ein Stück weit frei zu forschen, um auf neue Ideen zu kommen – wir nennen das disruptive Ideen. Dann muss es andere geben, die fragen: Was kann man denn damit machen? So wie bei Peter Grünberg aus Jülich: Er wollte einen bestimmten magnetischen Effekt verstehen und hat für seine Forschung den Nobelpreis bekommen. Erst andere haben anschließend daraus Massendatenspeicher entwickelt. 

 

Interview: Marko Ruh, Fotos: Birgitta Petershagen