Ehrenamtliche Autorinnen und Autoren haben Wikipedia zur beliebtesten nicht-kommerziellen Website der westlichen Welt werden lassen. Der Mitarbeit von Unternehmen und PR-Agenturen stehen sie kritisch gegenüber. Unter welchen Bedingungen diese dennoch mitmachen können und wie es um die Kölner Wirtschaft in der Enzyklopädie bestellt ist, erklärt der Journalist und Wikipedia-Experte Torsten Paßmann im Interview.
Herr Paßmann, wo steht die Kölner Wirtschaft in Wikipedia im NRW-Vergleich?
Landesweit liegt Köln mit etwas mehr als 860 Wirtschaftsartikeln an der Spitze. Von den zehn größten Städten kommt nur Essen mit +670 ansatzweise in die Nähe. Schon Düsseldorf und Dortmund sind mit +580 respektive +400 Artikeln deutlich abgeschlagen. Diese Zahlen bekommt man über das Tool „Catcontribs“, das alle Artikel einer Kategorie und ihrer Unterkategorien auflistet – für die Domstadt ist das „Wirtschaft (Köln)“.
Und wie bekommt man als Unternehmen selbst einen Artikel in Wikipedia?
Vom Grundsatz her kann man einfach loslegen, sogar ohne sich ein Benutzerkonto anzulegen. Der Teufel steckt aber im Detail, denn nicht jedes Unternehmen und nicht jedes Thema eignet sich für Wikipedia. Zudem müssen die Artikel bestimmte qualitative Merkmale erfüllen und Beitragenden aus Unternehmen hat der Betreiber der Plattform, die US-amerikanische Wikimedia Foundation, zusätzliche Regeln auferlegt. Vor diesem Hintergrund kann ich nur davon abraten, unvorbereitet in das Abenteuer Wikipedia zu gehen.
Was muss ein Thema ausmachen, um für einen Artikel geeignet zu sein?
Ein sehr guter Einstieg ist die Info-Seite „Relevanzkriterien“. Sie schlüsselt recht präzise für zahlreiche Themen auf, wann zweifelsfrei enzyklopädische Relevanz vorliegt. Bei Wirtschaftsunternehmen sind das beispielsweise harte Kriterien wie ein Mindestumsatz von 100 Mio. Euro oder wenigstens 1.000 Vollzeitmitarbeiter. Dann gibt es noch weiche Faktoren, die immer für Diskussionen sorgen: marktbeherrschende Stellung oder innovative Vorreiterrolle. Darüber hinaus haben sich spezielle Kriterien etabliert, beispielsweise für Brauereien, Fahrzeughersteller oder Unternehmen mit Staatsauftrag.
Was ist, wenn ein Unternehmen keines dieser Kriterien eindeutig erfüllt?

Es handelt sich hier um sogenannte Einschlussmerkmale. Hilfsweise kann die Summe von Teilaspekten zu enzyklopädischer Relevanz führen. Oder es gibt ausreichend Medienberichterstattung über einen so langen Zeitraum, dass die Wikipedia-Community von allgemeiner Relevanz spricht. Wer vor einem Artikel auf Nummer sicher gehen will, stellt eine Anfrage beim sogenannten Relevanzcheck. Dort geben erfahrene Ehrenamtler ihre persönliche Einschätzung ab. Das ist kein Genehmigungsverfahren, man könnte trotzdem einen Artikel schreiben. Die Erfahrung zeigt aber, dass neue Artikel mit negativem Feedback meist nach einer entsprechenden Diskussion wieder gelöscht werden.
Haben Sie an dieser Stelle ein konkretes Beispiel aus Köln?
Brauereien gelten der Wikipedia-Community als relevant, wenn sie einen Jahresausstoß von 100.000 Hektolitern Bier erzielen oder historisch erzielten. Oder wenn sie 100 Jahre hindurch betrieben wurden und einen Jahresausstoß von mindestens 5.000 Hektolitern Bier aufweisen. Im Artikel zur Kölsch-Konvention finden Sie acht von elf Mitglieder mit einem Artikel. Bis Ende 2017 waren das noch zehn. Zuerst hat es die Privatbrauerei Bischoff erwischt, deren Artikel als „irrelevantes Unternehmen/Kleinstbrauerei/etc.“ gelöscht wurde. Zwei Jahre verschwand der Artikel über die 1991 gegründete Brauerei Heller, weil deren Ausstoß laut Eigenaussage mit 3.000 Hektolitern signifikant unter dem geforderten Wert lag.
Welche qualitativen Merkmale muss ein Artikel erfüllen?
Zu den vier unveränderlichen Grundprinzipien gehört etwa die Neutralität – Artikel müssen ausgewogen und objektiv sein. Wer in seinem Grundverständnis Wikipedia als Marketingplattform betrachtet, die man nach Belieben für eigene Zwecke nutzen kann, hat schon verloren. Die Community hat ein sehr feines Gespür, werbliche oder nicht-neutrale Texte zu entdecken. In der Folge werden Artikel massiv – bis hin zu Fragmenten – gekürzt oder um verschwiegene Kritik und Skandale ergänzt.
Sie hatten auch besondere Regeln für Beiträge aus Unternehmen erwähnt. Wie sieht es damit aus?
Die Wikipedia ist in ihrem Selbstverständnis nach ein unkommerzielles Projekt freiwilliger, meist männlicher Autoren. Die verbindlichen Nutzungsbedingungen erlauben jedoch sogenanntes bezahltes Schreiben. Das umfasst jede auftragsgebundene Mitarbeit von oder in Artikeln für Dritte gegen Bezahlung, materielle oder immaterielle Vorteile. Betroffen von der Pflicht zur Offenlegung ist Personal aus Unternehmen ebenso wie aus Agenturen oder öffentlichen Einrichtungen wie Museen. Regelkonform kann man dann über drei Wege offenlegen, darunter die persönliche Benutzerseite. Dort gibt man seinen Arbeitgeber und das Schreiben im Auftrag an. Im Idealfall werden noch die Artikel ergänzt, in denen man editiert. Weitergehende Informationen finden sich im Wiki-Projekt „Umgang mit bezahltem Schreiben“.
Haben Sie zum Abschluss vielleicht noch hilfreiche Tipps?
Auf jeden Fall! Anders als die englischsprachige Wikipedia erlaubt die deutschsprachige Version, dass Benutzerkonten von Unternehmen geführt werden. Es ist meiner Erfahrung nach aber immer besser, wenn transparent ein individueller Mitarbeiter agiert. Noch vor dem ersten Edit sollte man seinen Pflichten zur Offenlegung nachkommen und anschließend mit Demut und Zurückhaltung agieren. Die freiwilligen Mitstreiter haben über Jahre und Jahrzehnte immer wieder die gleichen Fehler von Benutzern aus Unternehmen gesehen. Da ist der Geduldsfaden manchmal kurz und der Ton wird rau – auch wenn ein Neuling in bester Absicht mitmachen will. An dieser Stelle hilft nur, höflich zu bleiben und auf den sachlichen Teil der Ansprache zu reagieren.
Abschließend noch ein Aspekt: Unter ksh.wikipedia.org gibt es eine Wikipediaversion, die unter anderem den kölschen Dialekt abdeckt. Da lässt sich mit entsprechenden Sprachkenntnissen natürlich auch beitragen.
Das Interview führte Marko Ruh, Chefredakteur Kölnmagazin.
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