Ford ist der größte Arbeitgeber Kölns und Gunnar Herrmann seit 1. Januar 2017 Vorsitzender der Geschäftsführung. Im Interview mit dem Kölnmagazin blickt der neue Ford-Chef auf ein hervorragendes Jahr zurück und spricht über Chancen und Herausforderungen der Zukunft. Dem Standort zeigt er sich dabei genauso verbunden wie den Beschäftigten und den Stammkunden.

Gunnar Herrmann im Interview mit Kölnmagazin-Redakteur Marko Ruh: „Um in zukünftige Technologien investieren zu können, müssen wir natürlich Geld verdienen.”

Sie haben im vergangenen Jahr wieder ein Rekordergebnis erzielt, Ford steht gut da. Ist das für Sie als neuer Chef eher eine Bürde oder freuen Sie sich über die günstige Ausgangssituation?

Ich freue mich natürlich – und auch darüber, dass wir unsere Ziele sogar übertroffen haben. Wir haben mit Ford Europa nicht damit gerechnet, so gut abzuschneiden.

Was haben Sie sich für dieses Jahr vorgenommen: noch mehr Marktanteile, noch mehr Wachstum? Oder gibt es da auch qualitative Ziele?

Im Rahmen unserer Finanz-Reportings, die wir für 2017 herausgegeben haben, sind die Ziele etwas höher als für das vergangene Jahr. Das wäre sicher unter normalen Umständen, wenn politisch alles konstant liefe, mehr als möglich gewesen. Jetzt analysieren wir vor allem den Einfluss des Brexit.

Gibt es Signale aus der Politik, ob Sondervereinbarungen denkbar sind?

Das ist sehr schwierig. Aus der europäischen Gemeinschaft heraus gibt es klare Signale, dass es nicht gehen wird. Aus dem einfachen Grund: Man müsse den Brexit-Abschluss abwarten, ehe man neu verhandeln kann. Bei diesen Vorgaben hängen wir von der Politik ab. Also müssen wir wohl abwarten. Von dem, was wir beeinflussen können, das heißt vom Produktportfolio her, haben wir unsere Hausaufgaben erledigt. Deshalb bleiben wir zuversichtlich.

Aber auch was die Automobilität an sich angeht, befinden wir uns in einer Umbruchphase – hin zu Elektromobilität und Smart Mobility…

Um in zukünftige Technologien investieren zu können, müssen wir natürlich Geld verdienen. Auch vor diesem Hintergrund beobachten wir den Brexit sehr genau.

Noch ist also auch nicht die Rede davon, mit Elektromobilen Geld zu verdienen?

Momentan sprechen wir eher von der Entwicklung eines profitablen Konzeptes, mit dem wir in Zukunft Geld verdienen wollen. Damit beschäftigen wir uns sogar sehr intensiv. Bei all den Problemen sehe ich jedoch auch genug Positives und sage: Packen wir an!

Gehen Sie hinsichtlich der Vernetzung von Fahrzeugen auch Kooperationen mit anderen Unternehmen ein? Sie bewegen sich da ja auf Feldern, die nicht gerade klassischen Automobilbau darstellen. Oder investieren Sie in Start-ups?

Die Autoindustrie ist kapitalintensiv. Deshalb sind wir für solche Investitionen offen, man muss nur selektiv sein. Das Start-up Chariot haben wir zum Beispiel gekauft. Die haben eine Basis-App für Shuttle-Transporte entwickelt, insbesondere für Pendler. Das probieren wir jetzt in England aus. Sie können als Unternehmen nicht alles selbst neu erfinden. Das macht wirtschaftlich keinen Sinn.

„Eine Großstadt wie Köln beschreibt sich besser, wenn sie Leading-Mobility-Technik anbietet.“

Auch hier in Köln gibt es eine sehr aktive Start-up-Szene.

Das wird auch sicherlich ein großer Markt werden. Für uns als globales Unternehmen ist es allerdings schwierig, inwiefern wir bestimmte Entwicklungen als Kerngeschäft bezeichnen. Die App FordPass beispielsweise haben wir als Bestandteil unseres Kerngeschäfts  angelegt. Sie enthält eine Vielzahl von Service-Leistungen und ist in Anlehnung an das Produkt der Business Case. Sie können viel über diese App steuern oder Dienstleistungen abrufen, die in engem Zusammenhang mit unserem Unternehmen im Speziellen oder mit Mobilität im Allgemeinen zu tun haben.

Es muss auch zur Modellpalette passen…

Und zum Kunden. Wir hatten erst gestern eine Diskussion, wie man Internetforen effizienter nutzen kann, um mehr Informationen über Kunden zu bekommen. Ich habe zu bedenken gegeben, dass wir dann letztlich nur auf eine bestimmte Schicht von Kunden hören. Dabei kriege ich hier in großer Stückzahl Briefe, die noch fein säuberlich von Hand geschrieben sind. Viele sind auch mit der Schreib-maschine getippt Ich lese fast alle und frage mich, wie viele unserer Kunden wohl solche Briefe noch von Hand schreiben und nicht am PC – wo hole ich sie ab und wo höre ich sie. Es betrifft sehr wahrscheinlich noch einen größeren Kundenkreis.

Also eher nicht die Zielgruppe für Smart Mobility?

Man sieht das auch an der Verteilung der Fahrzeuge in Deutschland. In den großen Städten sind die Zulassungszahlen eher niedrig. Sie steigen, je mehr Sie in den ländlichen Raum gehen. Aber vom Thema Smart Mobility sind die Menschen dort verständlicherweise weiter entfernt als in der Großstadt mit den täglichen Verkehrs-, Lärm- und Emissionsproblemen.

Die Stadt Köln dagegen wurde in einem EU-Projekt als Smart City auserkoren und neben Barcelona und Stockholm als Leuchtturmstadt benannt. Elektromobilität ist dabei ein entscheidender Bestandteil. Unterstützen Sie das?

Diverse Diskussionen finden zurzeit sowohl auf europäischer Ebene als auch mit der Stadt Köln statt, wir möchten Kooperationen eingehen. Es gibt einen Katalog an Ideen, die wir haben und einbringen würden. Ich glaube, dass ein gemeinsames, gutes Zusammenwirken eine guter Weg sein kann, um Köln nach vorne zu bringen. Eine Großstadt wie Köln beschreibt sich besser, wenn sie Leading-Mobility-Technik anbietet.

Ist die Elektromobilität in den USA schon weiter fortgeschritten?

Wenn man es historisch sieht, kann man sogar sagen, wir sind dort Marktführer. In den USA hatten wir schon immer die Hybriden auf Batteriebasis. Auch Plug-in-Hybride sind dort schon länger üblich und liefen bei uns in großer Stückzahl vom Band. Über die Zeit haben wir mehr als 30 Varianten angeboten – in Europa nie. Was wichtig ist: Ich umschreibe das Ganze lieber als „Elektrifizierung“. Es geht hier nicht nur um „Battery Vehicles“, sondern auch um Plug-In-Hybride und normale Hybride. Forschungstechnisch beziehen wir E-Fuels (Anm. d. Red.: Synthetische Kraftstoffe), Gas und Brennstoff aber mit ein. All das spielt produktionstechnisch zwar noch keine Rolle, aber unser Forschungszentrum in Aachen beschäftigt sich intensiv damit. Wir verstehen, dass diese Technologien jeweils unterschiedliche Bedürfnisse abdecken. Im gewerblichen Bereich etwa, wo Fahrzeuge viel unterwegs sind, viel transportieren und in festen Gebieten Strecken fahren, kann man über Brennstoffzellen nachdenken, weil man dann den Vorteil einer Depot-Betankung hat. Von daher denke ich, wird sich das ganze Thema alternative Antriebe über die nächsten fünf Jahre noch breiter gestalten.

„Alle Parteien haben sich gemeinschaftlich der Projekte angenommen, um gemeinsam kostengünstige Modelle zu entwickeln. Damit können wir sagen: Dieser Standort rechtfertigt sein Dasein.“

Das eine ist die Frage des Antriebs, das andere eine der intelligenten Verkehrssteuerung. 

Die Verkehrsinfrastruktur der Städte wird eher ein Thema von autonomem Fahren sein. Darin sehe ich für die Kommunen auch einen Riesenvorteil. Sie können die gesamte Verkehrssteuerung im Prinzip über das Auto aufsetzen. Wir bieten ab 2021 erstmalig ein autonom fahrendes Fahrzeug mit Level 4 an, also Vollautomatisierung, bei der Fahrer keine Eingriffsmöglichkeiten mehr haben. Als Zielgruppen sind in erster Linie Fahrdienstleister wie Bus- oder Taxiunternehmen  im kommerziellen Einsatz. Das liefert einen Beitrag zur Entlastung der Verkehrssituation.

Trotz der angespannten Verkehrssituation sind Sie dem Standort seit Jahrzehnten treu. Welche Gründe sprechen dafür, in Köln zu bleiben? 

Wir haben hier eine perfekte Infrastruktur. Die Werksstrukturen ermöglichen eine hohe Fertigungstiefe und beinahe Eigenversorgung: Wir haben eine Motoren- und Getriebefertigung sowie einen Werkzeugbau auf dem Gelände. Darüber hinaus haben wir Bahn- und Wasseranbindung. Um so einen perfekten Platz zu finden, müssen Sie lange suchen. Deswegen schätzen wir den Standort. Wir müssen aber immer daran arbeiten, wettbewerbsfähig zu bleiben und den Know-how-Level zu halten. Das setzt auch voraus, dass wir beispielsweise für junge Ingenieure attraktiv sind. In der gegebenen Situation entwickelt sich das ein bisschen zu einem Problem.

Sie meinen im Recruiting?

Ja. Mittlerweile erhalten wir von Mitarbeitern das Feedback: Die Verkehrssituation ist für uns nicht mehr tragbar. Das ist ein Einschnitt in die Work-Life-Balance, was für mich nachvollziehbar, jedoch völlig neu ist.

Das Problem haben aber doch andere auch?

Nicht in dem Maße. Beschäftigte aus dem Umland, die morgens vielleicht 30 Minuten zur Firma gebraucht haben, müssen mittlerweile eineinhalb Stunden einplanen, um pünktlich zu sein. Und am Abend noch einmal. Wir haben jetzt eine Handvoll Fälle, in denen sich junge Mitarbeiter entschieden haben, woanders zu arbeiten. Ich finde, man muss da sensibel sein und genau hinhören.

Als größter Arbeitgeber sollten Sie bei der Stadt mit Ihren Anliegen Gehör finden.

Finden wir auch, und suchen auch weiterhin die Nähe zur Stadt. Ich habe mit Frau Blome, der neuen Verkehrsdezernentin, telefoniert und ihr zugesichert, dass sie die ganze Unterstützung von uns bekommt, die notwendig ist, aber es muss schnell gehen. Wir arbeiten jetzt an gemeinsamen Konzepten, Vertreter von uns sitzen mit im Verkehrsausschuss, um der Stadt zu helfen, die Verkehrssituation zu entspannen und noch attraktiver zu werden.

Zur Person
Seit Januar ist Gunnar Herrmann (56) der neue Vorsitzende der Geschäftsführung der Ford-Werke GmbH. Herrmann war zuvor Vice President Quality von Ford Europa und begann seine berufliche Laufbahn 1979 als Auszubildender bei Ford. Nach Abschluss seiner Ausbildung studierte er in Hamburg Fahrzeugbau und erwarb an der Loughborough University in England einen Master-Abschluss in Advanced Automotive Engineering. 1986 begann Herrmann im John Andrews-Entwicklungszentrum in Köln-Merkenich in der Karosserie-Konstruktion. Nach einer Verpflichtung in den USA leitete er seit 1994 verschiedene Fahrzeugprojekte und zeichnete ab 2002 als Entwicklungsdirektor für das weltweite Modellangebot von Ford im wichtigen C-Segment verantwortlich.

Sie haben ja die Idee eines Wassertaxis ins Spiel gebracht.

Ja, das habe ich in einem Zeitungsinterview erwähnt. Ehrlich gesagt, war ich überrascht, wie groß die Resonanz war. Alle Parteien haben sich bei Ford gemeldet und positiv geäußert. Das freut mich natürlich. Ich hoffe, dass jetzt auch etwas passiert.

Wie wichtig ist Ihnen ganz persönlich der Standort Köln? Kämpfen Sie dafür?

Ich muss zugeben, dass ich in meiner bisherigen Karriere eher global unterwegs war. Allerdings bin ich als Vorsitzender der deutschen Geschäftsführung natürlich den deutschen und auch Kölner Interessen verbunden. Hinzu kommt: Wir haben unheimlich viel Kompetenz hier, die Leute sind begeisterungsfähig, und ich glaube, dass auch das ein Riesenvorteil für den Standort ist. Man hat es bei der Investitionsvereinbarung gesehen: Das war eine tolle Zusammenarbeit von Betriebsrat und Geschäftsführung. Alle Parteien haben sich gemeinschaftlich der Projekte angenommen, um gemeinsam kostengünstige Modelle zu entwickeln. Damit können wir sagen: Dieser Standort rechtfertigt sein Dasein.

Spielt auch Tradition eine Rolle? Ich habe draußen die Säule mit der Unterschrift von Henry Ford gesehen… 

Es liegt vielleicht nicht so in unserer Mentalität, Tradition so weit vorne anzusiedeln. Andererseits: Wir sind gerade dabei, die Büros hier zu verändern. Dazu hatten wir Innenarchitekten im Haus, die herumgegangen sind und Fotos von Skulpturen, Inschriften, Treppenhäusern und Möbeln gemacht haben. Die waren völlig begeistert und haben sich klar dagegen ausgesprochen, alles wegzuschmeißen. Das schärft einem das Auge, wir haben so schöne Sachen hier. Wir versuchen jetzt, alt und neu zu integrieren, und „Vibrancy“ – wie wir das nennen – rein zu bringen. Das gehört auch dazu, unsere Beschäftigten zufrieden zu machen und für frischen Wind zu sorgen. Es gibt eine Vielzahl und große Breite von Aufgaben. Und gerade das macht es für mich so hochinteressant.

 

Interview: Marko Ruh, Fotos: Birgitta Petershagen